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Der Anfang
Am Anfang stand die Idee, mit künstlerisch und musikalisch interessierten Jugendlichen und Erwachsenen sowie professionellen Musikern gemeinsam ein Projekt mit zeitgenössischer Musik in Klein Leppin zu realisieren. Im Rahmen des durch das Netzwerk Neue Musik geförderten Berliner Projekts zur Vermittlung der zeitgenössischen Musik "ohrenstrand.net" hatten die Akademie der Künste zusammen mit dem Verein "Festland e.V." dazu die Initiative ergriffen. Das Projekt sollte verschiedene Gruppen und Medien miteinander verknüpfen und die Einwohner von Klein Leppin und Umgebung aktiv teilhaben lassen. Es ging nicht darum, den Akteuren ein vorgefertigtes Produkt vorzusetzen, sondern eine Komposition bzw. ein künstlerisches Ereignis zu schaffen, das alle Beteiligten, eben auch Laien, in den Entstehungsprozess einbezieht. Zu den Protagonisten zählen: der Klein Leppiner Opernchor - unter der Leitung von Birgit Bockler und Steffen Tast -, Kinder und Jugendliche aus der Prignitz, die Choreographin Kathinka Walter, die Bildhauerin Katja Martin, der Videokünstler Ralf Weißleder, Mitglieder des Kammerensemble Neue Musik Berlin und der Komponist Gerald Eckert. Im Dezember 2007 wurde mit der Arbeit begonnen und das Konzept seither in mehreren Werkstattphasen präzisiert und mit Leben erfüllt.y/p> |
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Die Musik
Als musikalischer Ausgangspunkt wurde durch den Komponisten Gerald Eckert ein Werk für Ensemble gesetzt, welches Jugendlichen sowohl einen zeitlich-musikalischen Rahmen wie auch die Freiheit bot, sich klangästhetisch und gestalterisch durch gegebene musikalische Räume und Strukturen mit ihrer Phantasie einzubringen. Sie erhielten die Aufgabe, selbst Klänge und Klangkombinationen zu entdecken. In verschiedenen "Arbeitsspaziergängen" wurden Materialien wie Zahnräder, Harken, Ketten, Ruten, etc. - alles Materialien und Fundstücke der näheren Umgebung - auf ihre klangliche Beschaffenheit hin untersucht ("Klangerzeuger") und in mehreren Versuchsreihen Zusammenklänge und kleine Sequenzen entwickelt. Aspekte wie Dichte, Reduktion, Punkt, Fläche boten dabei Orientierungsmöglichkeiten. Diese Klangerzeuger wurden direkt auf die Sequenzen der Tänzerinnen synchronisiert und stellen somit Verbindungsglieder zwischen der Klang- und Bewegungsebene des Ensembles und der Bewegungs- und Ausdrucksebene der Tänzerinnen dar.
Die gesangliche Ebene wurde analog gestaltet. Auch hier war der grundlegende Gedanke,
den eigenen Gesang / Atem jenseits traditioneller Chormusik zu erweitern und die Neugier auf
ungewöhnliche Klänge zu wecken. Aus diesem Grund wurden beispielsweise die Mitglieder des Chores gleich zu Anfang gebeten, Texte - Gedichte oder auch Partikel aus größeren Texten -, die für jeden Einzelnen eine spezielle Bedeutung haben, zur Verfügung zu stellen. Die nicht geringe Anzahl an Textfragmenten, die innerhalb eines Monats zustande kam, steht exemplarisch für das gro§e Engagement der Beteiligten.
Die musikalischen Ebenen spannen sich neben der der Klangerzeuger zwischen dem Chor, dem
Ensemble - das seinerseits in mehreren Ebenen verortet ist - und der elektronischen Schicht auf.
Auch der Fluss Karthane, der durch Klein Leppin fließt, gab einen wichtigen Anstoß. Die Karthane durchläuft während ihrer Strecke durch den Ort verschiedene "energetische" Stadien. So wurde der Abschnitt vor dem Wehr als der des "trägen Dahinfließens ohne bestimmte Tendenz" definiert, der Abschnitt nach dem Wehr an der Mühle als "mit energetischem Potenzial aufgeladen" und zusätzlich - wegen der Einengung durch die Mauern der Mühle - als "in ein bestimmtes Weg-Korsett gezwängt". Der dritte Zustand war dann der der "Entladung", der nur indirekt durch die ausgewaschene und teilweise unterspülte Uferböschung sichtbar ist.
In dem dreiteiligen Werk wird der zweite Teil durch ein Streichtrio geprägt, der einzige Teil der Komposition, der schon vorher entstanden war. Das Streichtrio, betitelt "Krümmung der Augenblicke", wurde 2000 komponiert und in Frankreich uraufgeführt. Im ersten und im
dritten Teil bestimmen der Chor und ein Violin-Violoncello-Duo das musikalische Geschehen sowie im dritten Teil die Klangerzeuger, eine Kontrabassklarinette und die Streicher. Dabei treten die einzelnen "Elemente" sowohl solistisch wie auch als Gesamtheit in Erscheinung. Auch der Chor wird durch unterschiedliche Funktionen charakterisiert: einerseits als Textträger und Einheit, andererseits ist er in die Zeitverläufe des Tanzes eingebunden. Unabhängig von allem scheint einzig die elektronische Ebene zu sein, die jedoch die Verbindung zu den Videosequenzen herstellt. |
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Choreographie / Tanz
Ein wesentlicher Vermittlungsgedanke des Projekts bestand von Beginn an darin, zeitgenössische Musik über die Beziehung zum körperhaften Erleben erfahrbar zu machen. Deshalb nahmen Choreographie und Tanz eine zentrale Rolle ein.
Die Choreographin Kathinka Walter entwickelte während der verschiedenen Arbeitsphasen mit den Tänzerinnen in Kleingruppen einzelne Sequenzen. Ausgangspunkt, quasi abstraktes "Material", waren die bereits oben erwähnten "energetischen" Zustände des Flusses und daraus abgeleitete Gedanken über Bewegung, Fließen, Brüche, Innehalten, etc. Auch die Lieblingsorte der Kinder wurden einbezogen und durch je persönliche Erinnerungen, Gefühle, Gerüche und besonders Bewegungen gleichsam kartographiert. So konnten neue Eindrücke mit ihren eigenen Erlebnissen spielerisch verbunden werden, um daraus Neues entstehen zu lassen. Weitere Anregungen lieferte die Partitur des Streichtrios "Krümmung der Augenblicke", deren Abschnitte auf ihre "graphische Beschaffenheit" abgetastet und in Bewegung umgesetzt wurden. |
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Skulptur / Video
Die Bildhauerin Katja Martin schuf drei "Kleiderskulpturen", die ihrer Interpretation der "energetischen Zustände" der Karthane entsprechen. Die Kleider wurden an den jeweiligen Orten installiert.
In den Videosequenzen von Ralf Weißleder werden unterschiedlichste Wege und Orte
gleichsam virtuell zusammengeführt. Die Aktivitäten aus dem landschaftlichen Umfeld
werden im Festsaal ebenso gespiegelt wie eigene, subjektive Bildfindungen, um sie im
FestSpielHaus mit Musik und Tanz zu verschränken.
Gerald Eckert |